Ersatzparlament aus dem Baukasten
An prominenten Stellen, mitten in Wien, sind kürzlich Holzmodulersatzbauten entstanden, und zwar in direkter Nachbarschaft zum Parlament und zum Bibliothekshof der Hofburg: zwei auf dem Heldenplatz mit je drei Geschoßen und einer im Bibliothekshof mit vier Geschoßen. Alle drei Gebäude haben eine Grundfläche von circa 30 m x 40 m. Damit stehen rund 10.000 Quadratmeter zur Verfügung, auf denen etwa 500 Arbeitsplätze, Konferenz- und Meetingräume sowie Klubstützpunkte für die politischen Parteien untergebracht werden können.
Für den Zeitraum von etwa drei Jahren sollen die temporären Bürogebäude den Parlamentsmitgliedern eine optimale Alternative bieten, wenn sie im Sommer 2017 ihren Arbeitsplatz in dem historischen Parlamentsgebäude gegen einen in den modernen Holzbauten tauschen.
System- und materialoffen ausgeschrieben
Der Bauherr wollte von Anfang an ein modulares System für die Ersatzbauten nutzen. Holz stand dabei nicht im Vordergrund. Die Modulbauten wurden vielmehr material- und systemoffen ausgeschrieben. Bei der europaweiten Ausschreibung suchte man zudem einen Totalunternehmer, der außer der Planung und Errichtung auch den Abbau und Rückkauf der Gebäude übernimmt. Als Bestbieter erhielt die Strabag AG mit Firmensitz in Wien den Zuschlag für ihr Gesamtkonzept, wobei die Lukas Lang Building Technologies GmbH die Holzmodulbauten als Subunternehmer ausführen sollte. Diese Entscheidung fiel sowohl auf Basis von Preis- als auch von Qualitätskriterien wie beispielsweise Flächeneffizienz, Ökologie, Erfüllung des Raum- und Funktionsprogramms oder Stützenfreiheit in großen Besprechungsräumen. Speziell bei Letzterem wurde schnell klar, dass sich bestimmte Raumkonfigurationen oder Raumhöhen mit vielen Modulsystemen nicht ausführen lassen. Hier punktete Lukas Lang mit seinem Modulbaukasten.
Modular und doch flexibel sowie schlüsselfertig
Das Baukastensystem von Lukas Lang ist kein Modulbau im Sinne von Raumzellenbau, vielmehr liegt ihm ein modulares Konzept zugrunde, im Sinne von definierten Einzelbauteilen mit sich wiederholenden Abmessungen, die innerhalb eines bestimmten Grundrasters immer zusammenpassen und sich kombinieren lassen. Nach industriellen Maßstäben gefertigt, können die standardisierten Stützen, Riegel, Holzrahmenbauwandelemente bzw. Massivholzdeckenelemente im Grunde auch ohne Auftrag vorgefertigt und auf Lager produziert werden. Sie sind innerhalb des Baukastens universell einsetzbar, sodass sich mit ihnen fast jeder Gebäudetyp errichten lässt.
Konkret heißt das: Man hat einen Holzskelettbau, der aus Brettschicht(BS)-Holz-Stützen mit zwei verschiedenen Längen für zwei verschiedene Raumhöhen (3,04 m und 3,50 m für Raumhöhen von 2,60 m bzw. 3 m) sowie aus Trägern mit vier verschiedenen Längen besteht (1,40 m, 2,80 m, 4,20 m, 5,60 m). Dabei setzen sich diese Trägerlängen aus der Nettolänge des Holzquerschnitts von etwa 1,20 m, 2,60 m, 4,0 m bzw. 5,40 m und den beidseitigen Maßen für die Stahlanschlussteile zusammen. Die Planer sprechen hier vom Nominalmaß. Das Rastermaß ergibt sich aus der baurechtlich erforderlichen Mindestflurbreite von 1,20 m und den Stützendurchmessern von 20 cm zu n x 1,40 m.
Auskreuzungen und Scheiben übernehmen Aussteifung
Für die vertikale Aussteifung sorgen Stahlauskreuzungen innerhalb des Skeletts. Die horizontale Aussteifung übernehmen schubsteife Deckenelemente aus Brettsperrholz (BSP). Sie werden in die 1,20 m x 1,20 m großen Gitterfelder des geschoßbildenden Trägerrosts mit einem Achsraster von 1,40 m eingehängt, das heißt, sie liegen auf Stahllaschen auf, die an den Gitterrostträgern seitlich angebracht sind. Zusammen bilden sie eine schubsteife Deckenscheibe.
Da die BSP-Deckenelemente mit 8 cm Höhe niedriger sind als die 30 cm hohen und 20 cm breiten Träger, ist der Trägerrost (im Rohbau) unterseitig als solcher auch nach der Montage noch ablesbar.
Gebäudetypenübergreifendes System
Mit diesen Rahmenbedingungen muss jedes Projekt, das mit dem Lukas-Lang-Konzept errichtet werden soll, zurechtkommen. Das galt auch für die Ersatzbauten des Parlaments. Das System ermöglichte bei diesem Spezialauftrag dennoch individuelle Anpassungen: Für die spezifischen Anforderungen, wie etwa die großen Spannweiten der Besprechungsräume, hat das Holzbauunternehmen einige Sonderkonstruktionen entwickelt. So wurden beispielsweise dementsprechend lange Stahlträger integriert, die nichts mit dem Baukastensystem zu tun haben. Da das Holzbauunternehmen aber die gleichen Anschlussknoten verwendet wie der Stahlbau, waren auch die jeweiligen Spezialträger systemkompatibel. Entscheidend für die Wirtschaftlichkeit des Baukastenkonzepts ist, dass die überwiegende Zahl der Elemente Standardbauteile sind.
Herausforderung Viergeschosser
Da das System des Holzbauunternehmens auf zweigeschoßige Bauten ausgerichtet ist, hätte der 14,34 m hohe Viergeschoßer im Hof der Hofburg für seine Stabilisierung eine zu hohe Zahl an Auskreuzungen im Erdgeschoß benötigt. Daher hat man sich dazu entschlossen, die Stahlbetonerschließungskerne mit Treppenhaus und Aufzugsschacht zur Abtragung der horizontalen Lasten heranzuziehen.
So konnten alle Geschoße verbandsfrei bleiben, was auch vor dem Hintergrund eines Umbaus nach der nächsten Wahl von Vorteil war. Denn die Gebäude sind mit der politischen Landschaft verwoben, was sich in der Aufteilung der Räumlichkeiten niederschlagen kann. Daher lautete von Anfang an die Vorgabe: maximale Flexibilität bei der Grundrisseinteilung.
Dem kommen auch die Anordnungsmöglichkeiten der nichttragenden Innenwände entgegen. Das Raster für den Innenraumbereich ist hier noch einmal in halbe Rasterschritte unterteilt, sodass Räume 1,40 m, 2,10 m, 2,80 m etc. breit sein können. Die Innenwände bestehen aus Holzständerkonstruktionen mit eingehängten Paneelen aus Holzwerkstoffplatten.
Individuelle Gründung auf Betonplatte
Üblicherweise werden Gebäude von Lukas Lang unter der untersten Trägerlage und deren Außenhaut an den Stützenpunkten über Bodenanker mit dem Erdreich verbunden oder über justierbare Stahlkonsolen auf Fundamentstreifen aufgeständert. Eine Hinterlüftungsebene sorgt dabei für die Trennung der Holzkonstruktion vom feuchten Erdreich. Dies wurde bei den Ersatzbauten für das Parlament anders gelöst, da aufgrund einer erforderlichen Flachgründung bereits eine Betonplatte vorhanden war. So konnten die Stützen über gusseiserne Ankerplatten direkt darauf abgestellt werden.
Umhüllt mit vorgehängten HolzrahmenbauElementen
Die Gebäudehülle besteht aus einem gedämmten Dachaufbau auf dem obersten Regelgeschoß und in der Fassade aus vor den Stützen angeordneten 1,40 m breiten Holzrahmenbauelementen. Entscheidend dabei ist, dass die Tragstruktur von der Hülle unabhängig ist.
Die Art der Elementmontage über verzinkte Stahlschwerter an das tragende Holzskelett ist ursprünglich aus dem Hochhausbau abgeschaut. Durch die schon werkseitig integrierten Beschläge auf allen Elementen beschränkt sich die Montage vor Ort auf wenige Handgriffe, die mit einfachen Werkzeugen wie Schraubenzieher oder Akkuschrauber, Imbusschlüssel und Sechskanter ausgeführt werden können.
Wärme-, Schall- und Brandschutz standardisiert integriert
Die Decken- und Wandaufbauten sind auch in Hinblick auf den Wärme, Schall- und Brandschutz standardmäßig so ausgelegt, dass sie bei unterschiedlichen Gebäudetypologien den EN-Normen und damit auch nationalen Richtlinien entsprechen.
Die Gesamtdeckenstärke erreicht mit der 8cm dicken Holzdecke, dem Bodenaufbau und der abgehängten Konstruktion 44 cm. Die Außenwandelemente kommen mit dem 19 cm dicken, tragenden Holzrahmenbauelement, dem Fassadenaufbau und der raumseitigen Beplankung auf 30,50 cm.
Der Vorteil des Bausystems liegt nicht nur in den kurzen Montagezeiten des Primärtragwerks bzw. der Hülle, auch die Haustechnik wie Licht, Strom, Lüftungsleitungen oder Heizung lässt sich schnell installieren: Ein umlaufender Leitungskanal im Bereich zwischen der Holzkonstruktion und der vorgehängten Fassade ermöglicht die einfache Leitungsführung und Verteilung der einzelnen Versorgungsanschlüsse.
Entscheidungskriterium: Abbau und Rückkauf
Im Oktober und November 2016 wurden die Fundamente auf dem Heldenplatz und dem Bibliothekshof errichtet. Die Montage der Holzbauten startete dann im November vergangenen Jahres. Die Holzbauteile wurden nach und nach termingerecht auf rund 135 Lkws angeliefert: 481 BS-Holz-Stützen, 5.476 Holzträger und etwa 6.600 Deckenelemente. Rund 150.000 Schrauben verbinden sie, und zwar so, dass sie nach der Nutzung mit geringem Wertverlust leicht demontiert und an einem anderen Ort als Gebäude mit ganz anderer Funktion wiederverwendet werden können. Hinzu kommen 1.300 Fassadenelemente in Holzrahmenbauweise.
Der Aspekt der Wiederverwendbarkeit stellte schon bei der Ausschreibung ein zentrales Entscheidungskriterium dar. Dass das Angebot von Lukas Lang die Position „Rückkauf der demontierten Bauteile nach der Nutzungsdauer zu einem bestimmten Preis“ enthielt, lieferte einen der Gründe für die Auftragserteilung. Dabei berücksichtigen die Preise auch, dass die Bauteile gebraucht sind; sie werden nicht zum Neupreis zurückgekauft. Der Aufwand für Auf- und Abbau sowie der Abnutzungsgrad definieren sozusagen den Restwert der Bauteile. Den Rückbau der drei Gebäude inklusive Beseitigung der Fundamente haben die Planer auf etwa 16 Wochen geschätzt.
Doch zunächst steht die Fertigstellung an. Die Holzbauten wurden Anfang Mai 2017 montiert. Danach erfolgten die Möblierung und die nutzerspezifischen Einbauten wie IT- und Telefonie-Infrastruktur sowie Medientechnik für die Besprechungs- und Konferenzräume. Zum Schluss werden an den beiden Pavillons zum Sicht- und Sonnenschutz noch Netzfolien angebracht, die als Informationsfläche dienen und in der Nutzungszeit zweimal (jeweils im Frühsommer) gewechselt werden sollen.
Der Umzug in die neuen Übergangsgebäude beginnt nach und nach ab Juli 2017 – in der tagungsfreien Zeit.