Nachhaltiger Werkstoff

Eine komplexe Beziehung

Holz
07.11.2023

Der Wald ist ein hohes Schutzgut. Unter einen Glassturz braucht man ihn dennoch nicht zu stellen:
der Wald braucht den Manschen nicht

Der Wald braucht den Menschen nicht. Diese Behauptung ist so trivial wie unbestritten. Seit rund 300 Millionen Jahren gibt es auf der Erde Bäume und somit auch Wälder. Der Mensch ist demgegenüber mit seinen rund 2,5 bis drei Millionen Jahren ein erdgeschichtlicher Junior. Doch lässt man solche naturgeschichtlichen Spitzfindigkeiten beiseite, bleibt der ebenso unbestrittene Befund, dass Mensch und Wald heute eine komplexe, wechselseitige Beziehung führen. Ein Geben und Nehmen, Nutzen und Pflegen, ein Austausch mal mehr, mal weniger gedeihlicher Art, der sich mit dem Begriff „Symbiose“ streng genommen zwar nicht korrekt erfassen lässt. Der aber durchaus symbiotische Züge trägt – wenn man sie zu sehen bereit ist.

Biodiversität als Lebensgrundlage

Betrachtet man die nackten Zahlen, so scheint es zumindest in Österreich keinen Grund zur Sorge zu geben. Wie die Arbeitsgemeinschaft proHolz Austria vorrechnet, nimmt die Waldfläche hierzulande jährlich um 2.300 Hektar zu. Den rund 30 Millionen Kubikmetern Zuwachs stehen etwa 26 Millionen Kubikmeter Schlägerung gegenüber. Das ergibt ein alljährliches Plus von vier Millionen Kubikmeter an Holzvorrat. Dabei geben diese Zahlen nur einen Teil der Wahrheit wieder. „Wald ist mehr als die Summer der Bäume“, betont Felix Montecuccoli, Präsident von Land&Forst Betriebe Österreich. „Die Bäume bilden das Grundgerüst für ein Ökosystem, das sich sowohl horizontal als auch vertikal erstreckt. Das unterscheidet den Wald von anderen Ökosystemen.“ Ein Ökosystem, dass sich nicht zuletzt durch eine hohe Biodiversität auszeichnet, welche wiederum auf vielfältige Weisen die Lebensgrundlage für die terrestrische Flora und Fauna bildet. „Der Wald befindet sich ja nicht unter einer Käseglocke“, so Montecuccoli. „Die Biodiversität wirkt aus dem Wald heraus in die Wiesen und Felder, ins Ödland, ins Gebirge. Biodiversität kann sehr weit wirken.“ Moderne Formen der Forstwirtschaft sorgen dafür, dass es auch in Zukunft so bleibt, betont er. Beispielsweise die so genannte Dauerwald-Bewirtschaftung. Zwei Drittel des österreichischen Waldes gelten als „mäßig verändert“ (41%), „naturnah“ (22%) oder „natürlich (3%). Diese Werte sind ein Ergebnis der zwischen 1992 und 1995 von Wissenschaftlern der Akademie der Wissenschaften durchgeführten Studie „Hemerobie österreichischer Waldökosysteme“ (die seither allerdings nicht mehr wiederholt wurde).

Sekundäre Nadelwälder

Die Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Wald war jedoch nicht immer so harmonisch. Vielmehr war sie über weite Strecken – so ehrlich muss man sein – von unreflektierter Ausbeutung geprägt. Aber auch von kurzfristig plausiblen, langfristig aber problematischen Entscheidungen. So haben unsere Vorfahren den Nadelwaldanteil bewusst gegenüber dem Laubwaldanteil erhöht. „Man hat vor rund 150 Jahren versucht, Baumarten zu fördern, die schneller wachsen und qualitativ bessere Holzeigenschaften aufweisen“, erklärt Hubert Hasenauer, Professor am Institut für Waldbau der Universität für Bodenkultur (BOKU). „Zum Beispiel hat man Fichten auf Laubholzstandorten angepflanzt.“ Dass sich das langfaserige Fichtenholz einfacher bearbeiten lässt als kurfaserige Buchen oder Eichen war bereits bekannt. Dieser so genannte „sekundäre Nadelwald“ macht noch heute zwischen 300.000 und 350.000 Hektar der heimischen Waldfläche aus. „Die mitteleuropäische Forstwirtschaft und besonders die Holzindustrie hat auf diese Weise sehr viel Geld verdient“, so Hasenauer. Dass Buchen und Eichen außerdem perfekte Bedingungen auf Böden vorfinden, die zugleich ideal für die Landwirtschaft sind, hat zusätzlich ihre Zurückdrängung begünstigt. Auch rigorose Abholzung war seit dem Mittelalter in regional unterschiedlicher Ausprägung weit verbreitet. Vor allem Bergbau, Salinen und der Heizbedarf der wachsenden Bevölkerung sorgten dafür, dass Holz zu einem immer knapper werdenden Gut wurde. 1713 warnte der deutsche Berghauptmann Hans Carl von Carlowitz in seinem Buch „Sylvicultura Oeconomica“ vor einem Versiegen des Rohstoffs Holz. Viele Historiker sehen in diesem Werk die Geburt des Begriffs der Nachhaltigkeit. Tatsächlich setzte damit eine Bewusstseinsbildung ein, als deren Folge in Österreich bereits 1852 das erste Forstgesetz erlassen wurde. Es trat 1853 in Kraft und definierte den Wald explizit als Schutzgut.

Mensch schützt Wald
schützt Mensch

Das österreichische Forstgesetz nennt vier Waldfunktionen: Nutzung (als Rohstoff), Schutz (zum Beispiel vor Hangrutschen, Steinschlag oder Lawinen), Erholung und Wohlfahrt. „Das ist sehr clever vom Gesetzgeber, weil es bei der Bewertung von Waldstandorten kein Entweder-Oder mehr gibt, sondern eine Charakterisierung nach diesen vier Kriterien“, sagt Hasenauer. So kann ein Wald beispielsweise zugleich eine hohe Nutzenfunktion und eine hohe Schutzfunktion haben. Erst mit dem Aufkommen von Kohle, Erdgas und Erdöl als Energieträgern schrumpfte die Nachfrage nach Holz und damit zugleich der Druck auf den Wald. „Dadurch konnte sich der Wald ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts wieder gut erholen“, meint Hasenauer. Mit dem Klimawandel droht ihm heute jedoch erneut Ungemach. Präziser formuliert droht es dem Menschen. „Der Wald verändert sich immer, das ist ganz normal. Aber die derzeitigen Veränderungen passieren so schnell, dass die natürlichen Anpassungen an diese Veränderungen den Wald viel weniger in Schwierigkeiten bringen als uns Menschen“, so Felix Montecuccoli. „Waldschutz ist deshalb auch Menschenschutz.“ Wie genau die Veränderungen aussehen werden, ist ungewiss. Generell jedoch begünstigen höhere Temperaturen Laubbäume.

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Felix Montecuccoli, Land&Forst Betriebe Österreich

Nicht unwahrscheinlich ist es, dass heimische Bäume, die nicht für längere Trockenperioden konditioniert sind, unter Trockenstress geraten. Das betrifft etwa die Fichte. Nichtsdestotrotz wird sie auf absehbare Zeit die österreichische Hauptbaumart bleiben, aber wohl in etwas höher gelegene Gebiete wandern.

Zankapfel EU-Verordnung

Mancherorts reagiert man auf den Klimawandel bereits mit der Anpflanzung weniger empfindlicher Arten, etwa der Douglasie. Doch ist der Anteil solcher nicht heimischer Baumarten, so genannter Neophyten, an der gesamten Waldfläche mit derzeit vier Prozent noch sehr begrenzt. Der Klimawandel rückt jedoch den Wald aber nicht nur als Spielball des Klimawandels in den Fokus, sondern auch als dessen Gestalter.

Ohne Wald hätten wir eine wesentlich ­höhere CO2-Belastung.

Hubert Hasenauer, Universität für Bodenkultur

Hubert Hasenauer, Universität für Bodenkultur
Hubert Hasenauer, Universität für Bodenkultur

„Ohne Wald hätten wir eine wesentlich höhere CO2-Belastung“, meint Hubert Hasenauer. „Weil der Wald puffert viel CO2 über Photosynthese und Pflanzenwachstum.“ Wälder eignen sich hervorragend als Kohlendioxid-Speicher. Man könnte deshalb vermuten, es wäre in dieser Hinsicht am effektivsten, den Wald völlig unberührt wachsen zu lassen und gar nicht mehr als Rohstoffquelle zu nutzen. Diesen Gedanken vermuten viele Beobachter als eigentliche Idee der sogenannten EU-Entwaldungsverordnung, die Ende 2024 in Kraft treten soll. Sie beschränkt das Inverkehrbringen von Rohstoffen und Erzeugnissen im europäischen Binnenmarkt auf Produkte, die „entwaldungsfrei“ sind. Die also zum Beispiel ohne Schädigung oder Zerstörung von Waldfläche hergestellt wurden. Kritiker des Gesetzes befürchten, dass es eine empfindliche Redkution der Nutzung des Rohstoffes Holz bewirken könnte. „Die Nichtnutzung des Waldes bedeutet eine massive Veränderung des Ökosystems“, insistiert Montecuccoli. „Nichtgenutzter Wald wird unwegsam und gefährlich.“ Zudem ist verottendes Totholz ein bedeutender CO2-Emittent.

Für ökologisch bewusste Menschen ist ein Leben ohne Holz nicht vorstellbar.

Felix Montecuccoli, Land&Forst Betriebe Österreich

Für Felix Montecuccoli ist die europäische Entwaldungsverordnung deshalb „der grundlegend falsche Weg“. „Denn wenn wir kein Holz mehr verwenden, verwenden wir andere Materialien, die wirklich schlecht für das Klima sind“, meint er. „Für ökologisch bewusste Menschen ist ein Leben ohne Holz nicht vorstellbar.“

Stoische Ruhe in der Tischlerei

Und welche Auswirkungen haben Wald- und Klimawandel auf die Tischler*innen? Immerhin stehen sie als Holzverarbeiter am Ende einer Versorgungskette. Tischler*innen haben weder Einfluss darauf, welche Baumarten angepflanzt werden, noch welche Holzarten wann und in welchen Mengen auf den Markt kommen.

Kein Grund zur Sorge: Tischler*innen werden immer Material zum Bearbeiten haben.

Ludwig Weichinger-Hieden, Tischlermeister und Landesinnungsmeister Wien

Ludwig Weichinger-Hieden, Tischlermeister und Landesinnungsmeister Wien
Ludwig Weichinger-Hieden, Tischlermeister und Landesinnungsmeister Wien

„Für uns Tischler ist der jeweilige Baumanteil der Wälder im Prinzip egal“, meint Ludwig Weichinger-Hieden, Innungsmeister der Landesinnung Wien der Tischler und Holzgestalter. „Wir werden immer Material zu Bearbeiten haben.“ Dass manche Hölzer Mangelware werden könnten, sei aus betriebswirtschaftlicher Sicht keine neue Situation: „Wenn sich eine Kundschaft etwas wünscht, das nicht lieferbar ist, dann muss ich eben eine Alternative anbieten“, meint er. „Das war bisher auch schon so.“ Er sieht vielmehr mit Vorfreude in die Zukunft: „In Bezug auf das Material Holz ist es eine spannende Zeit. Ich bin neugierig, welche Hölzer wir künftig bearbeiten werden.“ Möglich sei, dass man für neue Hölzer neue Kleber benutzen muss. Vielleicht auch neue Verbindungsmittel oder andere Schrauben. „Wir müssen offen bleiben für Neues und stets dazulernen“, betont Weichinger-Hieden. „Das ist ja das Spannende an unserem Beruf.“

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