Interview

Middletech statt Hightech

Interview
10.07.2024

Der Bauforscher und Denkmalschützer Friedrich Idam empfiehlt für die Transformation des Bauwesens in Richtung Nachhaltigkeit die Rückbesinnung auf bewährte Technologien aus der Vergangenheit. Sein Credo: Middletech statt Hightech.
Bauforscher und Denkmalschützer Friedrich Idam.

Herr Idam, ich habe Sie kürzlich bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Sanieren als Verfechter von sogenannten „Middletech“-Lösungen kennengelernt. Können Sie erläutern, was Sie darunter verstehen?
Friedrich Idam:
Gerne. Es geht darum, aus der Vergangenheit zu lernen und Erfahrungswissen zu nutzen, das wir oftmals schon vergessen haben. Ein Beispiel: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um Kaffeebohnen zu Pulver zu verarbeiten. Sie können die Bohnen in einem Mörser zerkleinern. Das ist Lowtech. Die Anwendung ist etwas mühsam und das Pulver wird nicht so fein wie bei anderen Lösungen. Aber diese Technologie hat sich sehr bewährt und ist seit Jahrtausenden im Einsatz. Sie ist robust und langlebig. Sie können aber auch eine moderne Kaffeemühle verwenden, die mit Sensoren und Mikroelektronik ausgerüstet ist. Das liefert sehr gute Ergebnisse, hat aber einen Nachteil: Die Lebensdauer dieser Hightech-Geräte ist kurz. Sie liegt oftmals nur bei zwei bis drei Jahren.

Ich ahne, was als nächstes kommt. Meine Mutter hat eine ganz bestimmte Maschine hartnäckig verwendet – trotz aller Versuche ihrer Kinder, mich eingeschlossen, ihr das auszureden.
Idam:
Ich nehme an, sie meinen eine Kaffeemühle. Das ist die Middletech-Lösung. Ich verwende die Kaffeemühle, die meine Großmutter zu ihrer Aussteuer bekommen hat. Diese Mühle besitzt ein hölzernes Gehäuse, geschmiedete und gefräste Mahlwerke und eine Handkurbel. Mit zwei Kontramuttern kann man das Mahlwerk verstellen. Die Mühle wird bald 100 Jahre alt und wird sicher auch noch meinen Enkeln gute Dienste leisten.

Gut, das ist nachvollziehbar. Wie schaut die Umsetzung am Bau aus? Auf welche bewährten Lösungen aus der Vergangenheit könnten wir hier zurückgreifen?
Idam:
Die Blüte der Mittleren Technologien fällt in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ich habe mich intensiv mit den Wiener Ringstraßenbauten befasst. Viele dieser Bauten wurden damals mit einer genialen Anlage zur Lüftung, Kühlung und Heizung ausgestattet: einer Luftbrunnenanlage. Im Burgtheater ist sie heute noch zum Teil erhalten und in Betrieb. Die moderne Hightech-Alternative besteht in einer komplizierten Kältemaschine mit Rückkühlaggregaten und elektronischer Steuerung – deren Nachteile: hoher Stromverbrauch und hohe Schadstoff-Emissionen, hoher Wartungsaufwand und niedrige Lebensdauer.  

Diese Nachteile hat die Luftbrunnenanlage nicht?
Idam:
Genau, sie arbeitet ohne Pumpe und Elektronik. Die Anlage besteht einerseits aus einem Erdmassespeicher unter dem Volksgarten – ein Brunnenschacht mit sechs Metern Durchmesser, der bis ins dritte Kellergeschoss fällt. Dort wird die Luft durch die Erdmasse im Winter erwärmt und im Sommer gekühlt. Vom Brunnenschacht aus wird sie durch einen 100 Meter langen, drei Meter breiten und sechs Meter hohen Gang unter der Straße bis zum Burgtheater geführt. Hier angekommen, hat früher ein raffiniertes Verteilungssystem die Luft bis zu den einzelnen Sitzen und Logen verteilt. Leider ist die Anlage 1945 nach dem Krieg durch einen Brand teilweise zerstört worden. Für die Entlüftung hat man ebenfalls eine einfache, sehr effektive Vorrichtung vorgesehen: Im Dach befindet sich eine Fortluftöffnung. Sie ist mit einer Windfahne verbunden, die dafür sorgt, dass die Öffnung immer ins Lee gedreht wird und die Luft ungehindert ausströmen kann. Diese Windfahne gibt es heute noch: den sogenannten „Blasengel“.

Wie aufwendig ist es, diese Technologie bei heutigen Bauvorhaben einzusetzen. Und was kostet es?
Idam:
Aufwand und Kosten stehen einer Umsetzung meiner Meinung nach nicht im Weg. Ich war vor einiger Zeit am Bau einer derartigen Anlage bei einem Einfamilienhaus im Salzkammergut beteiligt. Wir haben dort einen vier Meter tiefen Brunnen mit einem Durchmesser von 90 Zentimetern errichtet. Ein normales Polodur-Rohr mit 200 Millimeter Durchmesser führt die Luft zum Haus. Dort leitet ein Verteilersystem die Luft zu den einzelnen Räumen und dem Kachelofen. Die Kosten für die Errichtung lagen bei rund 5.000 Euro. Das ist eine Investition, die sich bei den aktuellen Energiekosten rasch amortisiert. Zudem ist die Anlage im Betrieb CO2-neutral, praktisch wartungsfrei und sehr langlebig.

Bleibt die Frage nach der Leistungsfähigkeit derartiger Anlagen. Wie stark kühlen sie im Sommer?
Idam:
Man wird mit einem derartigen System die Temperatur nicht auf 18 Grad senken können, aber eine Kühlung um drei bis vier Grad gegenüber der Außentemperatur ist ohne weiteres möglich. Dieser Unterschied wird als angenehm empfunden. Die Bewohner des Hauses im Salzkammergut sind jedenfalls sehr zufrieden. Im Winter reduziert das System die Heizkosten beträchtlich.

Welche anderen Beispiele für den Middletech-Ansatz sind aus ihrer Sicht für den Alltag am Bau relevant?
Idam:
Mir fallen sofort zwei Systeme ein, die in der Vergangenheit sehr gut funktioniert haben. Bei dem einen handelt es sich um monolithische Wandsysteme – das kann eine Wand aus massivem Holz sein, eine Ziegelwand oder eine Lehmwand. Diese massiven Wände haben eine wesentlich längere Lebensdauer als hochkomplexe, mehrschichtige Wandsysteme, bei denen Dämmschichten, Folienschichten und Dampfsperren eingebaut sind. Je komplexer ein System, desto größer die Fehleranfälligkeit. Dazu kommt ein weiterer großer Vorteil: Die massiven Systeme können nach dem Ende ihres Lebenszyklus leicht abgetragen und wiederverwendet werden. Das andere Beispiel sind Holzkastenfenster…

…die doppelten Fenster die heute noch in vielen Altbauten aus der Gründerzeit vorhanden sind?
Idam:
Richtig. Diese Fenster hat man oftmals mit Leinölfarben gestrichen. Sie sind nicht völlig dicht – was gut ist, denn dadurch spart man sich den Einsatz von komplexen Lüftungsgeräten, die heute häufig verbaut werden, weil die dreifachverglasten Thermofenster keine Luft mehr durchlassen. Zudem wissen wir aus Studien, dass die thermische Performance dieser Thermogläser nach 20 bis 30 Jahren sinkt, weil der Randverbund – also die Verklebung zwischen den einzelnen Scheiben – versprödet und die Edelgasfüllung austritt. Das gilt jedenfalls für Fenster, die vor rund 30 Jahren produziert worden sind. Ich führe derzeit ein Forschungsprojekt durch, bei dem ich die energetische Performance von modernen Dreischeibenfenstern mit denen von traditionellen Holzkastenfenstern untersuche.

In was für einem Haus wohnen Sie eigentlich?
Idam:
Während wir gerade über Video Call sprechen, sitze ich in einem Haus aus dem 16. Jahrhundert. Es hat ein dickes Bruchsteinmauerwerk mit 90 Zentimetern dicken Wänden und ist schön kühl – Hightech meets Middletech.

Friedrich Idam ist ein renommierter Bauforscher und Denkmalschützer. Neben einer freiberuflichen Tätigkeit in den Bereichen architektonische Baudenkmalpflege und Bauphysik lehrt er seit 2022 Lehrtätigkeit an der Donauuniversität Krems und der TU-Wien. Der gelernte Holzbildhauer ist gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Denkmalpflege und Bauphysik für historische Baukonstruktionen und Mitglied des Denkmalbeirates beim Bundesdenkmalamt.

Branchen
Bau