Interview

"Wir wollen Chancengleichheit!"

Ziegelbauten
20.06.2024

Johann Marchner, Geschäftsführer von Wienerberger Österreich, spricht über die faire Behandlung von Baustoffen, warum Holz weniger nachhaltig ist als viele glauben und darüber wie weit man kommt, wenn man 500 Kilometer weit fährt.

Herr Marchner, haben Sie etwas gegen Holz?
Johann Marchner:
Nein – im Gegenteil. Holz ist ein wichtiger Baustoff, der wie andere Baustoffe auch seine Vor- und Nachteile hat. Ich habe nur etwas gegen die einseitige Förderung von einzelnen Baustoffen. 

Das sieht die öffentliche Hand, allen voran das Landwirtschafsministerium, offenbar anders. Es fördert den Holzbau mit dem Argument der ökologischen Bauweise massiv.
Marchner:
Das stimmt, dabei gibt es dutzende Studien, die belegen, dass Holz nicht ökologischer ist als beispielsweise der Ziegel. Man muss nur genau hinschauen und den gesamten Lebenszyklus betrachten. Verstehen Sie mich bitte richtig: Ich schätze Holz. Als Dachziegelhersteller haben wir einen engen Bezug zu Holz: ohne Holz kein Dachstuhl. Interessanterweise wird es da nicht gefördert. Man fördert die Wand aber nicht den Dachstuhl. Die Logik dahinter sehe ich nicht.

Der Fachverband der Stein- und keramischen Industrie, dem Ihr Unternehmen angehört, fordert seit einiger Zeit einen Herkunftsnachweis für Holz. Warum eigentlich?
Marchner:
Wenn Sie sich heute einen Tag lang an die Allander Autobahn stellen, die bei Wien die Südautobahn mit der Westautobahn verbindet, dann werden Sie dort sehr viele LKWs sehen, die Holz transportieren – vor allem aus Tschechien und Ungarn zu den holzverarbeitenden Betrieben in Österreich. Die Umweltbelastungen, die dieser Transport verursacht sind enorm. Daher fordern wir einen Herkunftsnachweis für Holz.

Wie weit sollte man denn aus ihrer Sicht Holz transportieren können, damit es ökologisch noch vertretbar ist?
Marchner:
Das ist eine gute Frage. Ich kann Ihnen sagen, was die Vereinigung Pro Holz dazu sagt: Bis zu einem Transportweg von 500 Kilometern kann man von nachhaltiger Holzwirtschaft sprechen.

Fast schon an der ukrainischen Grenze

Das ist eine ganz schön lange Strecke …
Marchner:
Dieser Meinung bin ich auch. Wenn Sie von Wien aus 500 Kilometer Richtung Osten fahren, sind sie fast schon an der ukrainischen Grenze. Wissen Sie, wieweit 99,9 Prozent der Hintermauer-Ziegel, die in Österreich verbaut werden, maximal transportiert werden?

Ich habe den Verdacht, dass Sie mir das jetzt verraten werden.
Marchner:
80 bis 90 Kilometer. Der Ziegel ist ein regionaler Baustoff. Und das kann man auch ganz leicht belegen: Auf jedem Ziegel steht eine Signatur, die anzeigt, wo er produziert worden ist. Ich verstehe nicht, was so schlimm daran sein soll, wenn bei Holz dieser Kennzeichnung auch vorgenommen wird.

Wie schaut es denn mit der Umsetzung Ihrer Forderung in Österreich aus? Tut sich was?
Marchner:
Sehr wenig. Leider. Um das noch einmal klarzustellen: Wir haben überhaupt nichts gegen Holz. Wer sein Gebäude mit Holz bauen will, soll das tun. Wir fordern einfach nur, dass die einzelnen Baustoffe fair behandelt werden. Wir wollen Chancengleichheit. Die einseitige Förderung des Holzbaus ist mit ökologischen Argumenten nicht zu rechtfertigen.

Was halten Sie hier speziell von der Holzriegelbauweise?
Marchner:
Aus ökologischer Sicht ist sie eine Katastrophe. Dort wird ja kein Massivholz verbaut. Man verwendet Dämmstoffe und Folien. Beim Recycling, am Ende des Lebenszyklus so eines Gebäudes, wird das dann zum Problem. Kreislaufwirtschaft gestaltet sich bei diesen Gebäuden schwierig. Auch hier ist der Ziegel deutlich nachhaltiger. Er ist zu hundert Prozent wiederverwertbar. Ziegel, die vor mehr als hundert Jahren verbaut wurden, können Sie abtragen und wieder für das nächste Haus verwenden. Was mich zu einem weiteren Punkt bringt: Schauen Sie sich unsere Altstädte in Wien, Graz oder Salzburg an. Die bestehen aus Ziegelbauten, die 100, 200 oder mehr Jahre alt sind. Und die werden auch noch die nächsten 200 Jahre dort stehen. Davon würde ich bei einem Holzriegelhaus nicht ausgehen.

Trotz all dieser Vorteile ist der Ziegel vor allem im mehrgeschossigen Wohnbau aus der Mode gekommen. Hier dominiert Beton. Wie wollen Sie das ändern?
Marchner:
Wir werden als Bauwirtschaft in Zukunft alle Baustoffe brauchen – auch Beton und Holz. Aber es stimmt: Die Vorteile des Ziegels sind in den vergangenen Jahrzehnten etwas aus den Köpfen verschwunden. Das wollen wir ändern. Wir setzen dabei stark auf Innovation. Wir verwenden unter anderem intelligente Bemessungssoftware, die es erlaubt, einfacher in Ziegel zu planen. Wir zeigen den Bauherren, was alles in Ziegel möglich ist.

Sie sprechen von Innovationen. Sind bei einem so alten Produkt wie dem Ziegel überhaupt noch Produktinnovationen möglich?
Marchner:
Ja, natürlich. Wir führen derzeit in Wien zum Beispiel ein Pilotprojekt für mehrgeschossige Gebäude durch, bei dem wir den Ziegel im monolithischen Mauerwerksbau einsetzen. Das heißt: Das Mauerwerk wird ausschließlich mit Ziegel gebaut. Es gibt keinen Vollwärmeschutz, der in der Kreislaufwirtschaft problematisch gesehen wird. Die Ziegelwand wird nur mehr mineralisch verputzt. Wir haben zahlreiche weitere Innovationen entwickelt – je nach der geforderten Gebrauchseigenschaft produzieren wir unterschiedlichste Ziegeltypen.

Was sind das für Eigenschaften?
Marchner:
Ich gebe ihnen zwei Beispiele. Erstens: Wir haben einen besonders stabilen Ziegel entwickelt, der eine sehr hohe statistische Belastbarkeit besitzt. Er eignet sich sehr gut für mehrgeschossige Gebäude. Im Bauvorhaben Wildgarten in Wien wurde mit diesem Ziegel ein Gebäude mit acht Stockwerken in rein monolithischer Bauweise errichtet. Acht, neun Stockwerke ist in etwa die Grenze, die in dieser Bauweise möglich ist. Zweitens: Wenn es höher hinaus gehen soll, ist eine andere Bauweise möglich, die in Italien, Kroatien und Osteuropa sehr verbreitet ist: die Kombination von einem Betonskelett mit einem ausfachenden Mauerwerk in Ziegel. Das ist eine traditionelle Vorgangsweise, die wir als Fertigteil-System neu denken wollen.

Ich bin kürzlich auf eine andere Variante des Ziegels gestoßen: dem Klinkerriemchen. Was darf ich mir darunter vorstellen? Einen zu heiß gewaschenen Ziegel?
Marchner:
Die Richtung stimmt. Beim Klinkerriemchen geht es um die Dematerialisierung. Also: Wie können wir Ressourcen sparen, indem wir dort, wo es geht, weniger Material einsetzen. Diese Steine werden als Vormauerziegel verwendet, als Klinker. Ein klassischer Klinker ist 13 bis 14 Zentimeter dick. Beim Klinkerriemchen gehen wir bis auf 2 Zentimeter herunter. Im Norden Europas ist der Klinker sehr beliebt.

Beliebt ist gut. In meiner norddeutschen Heimatgemeinde würde ich vom westfälischen Klinkergebot sprechen: Ein Haus ohne Klinker ist kein Haus.
Marchner:
Das höre ich gerne.

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