Grüne Branche

Schnittstelle Bauwerksbegrünung

Fassadenbegrünung
29.04.2024

Die Bauwerksbegrünung hat sich zu einem interdisziplinären Tätigkeits- und Forschungsfeld entwickelt, das verschiedene Branchen und Technologien miteinander verbindet und eine wirksame Maßnahme zur Klimawandelanpassung darstellt. Was sind die neuesten Entwicklungen der Grünen Branche?
Bauwerksbegrünungen sind integrale Bestandteile zur Gebäudeoptimierung, zur Energieeinsparung und zur Förderung der Biodiversität.
Bauwerksbegrünungen sind integrale Bestandteile zur Gebäudeoptimierung, zur Energieeinsparung und zur Förderung der Biodiversität.

Bauwerksbegrünung agiert an der Schnittstelle von Grünraumplanung, Bauwesen, Energie-, Wasser- und Umwelttechnik sowie weiteren angrenzenden Bereichen wie Materialwissenschaften, Sozialwissenschaften, Gesundheitswesen und Digitalisierung. Als unterstützende Maßnahmen haben sich Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünungen als integrale Bestandteile zur Gebäudeoptimierung, Energieeinsparung und Förderung der Biodiversität etabliert.

Dachbegrünungen in der EU-Gebäuderichtlinie

Die Wichtigkeit der Gebäudebegrünung zeigt sich auch daran, dass in der am 11. März 2024 erfolgten Abstimmung über die EU-Gebäuderichtlinie durch das Europäische Parlament die Dachbegrünungen explizit integrieret wurden. Die Überarbeitung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) soll den europäischen Gebäudebestand bis 2050 modernisieren. Das bietet Chancen für den Begrünungsmarkt, weil er mit dem Ausbau der Dachflächen, der Anbringung von Photovoltaik und der Möglichkeit der Mehrfachnutzung wachsen wird. Der neue Grundsatz der Technologieneutralität und die Kombination von Solaranlagen mit anderen Dachnutzungen, z. B. Gründächern oder anderen Installationen für Gebäudedienstleistungen, ist dabei zu berücksichtigen. 

Mehrwertorientierte Dachflächennutzung: Photovoltaik-Anlage in Kombination mit Dachbegrünung.
Mehrwertorientierte Dachflächennutzung: Photovoltaik-Anlage in Kombination mit Dachbegrünung.

Mehrwertorientierte Dachflächennutzung

Auch das kürzlich veröffentlichte Positionspapier von IG Lebenszyklus und Grünstattgrau, bei dem über 20 Expert*innen mitgewirkt haben, demonstriert die vielen Vorteile einer Symbiose von mehrwertorientierter Dachflächennutzung im Bestand und Neubau. Ziel dieses Positionspapiers ist die Zusammenfassung und Bereitstellung grundlegender Informationen und Daten für die mehrwertorientierte Systementscheidung bei einer Nutzungsänderung bzw. -erweiterung von bestehenden und neu erbauten Dachflächen.
Die Möglichkeiten umfassen dabei die reine Installation einer Photovoltaik- bzw. Solarthermie-Anlage sowie die Kombination mit einem extensiven Gründach (Aufbauhöhe ab 8 cm, geringes Gewicht, niedrig wachsende Pflanzenarten, wenig Pflegeaufwand, wertvoller Lebensraum für Pflanzen und Tiere). Oder die Nutzung des Daches für andere Zwecke, wie unter anderem Wärmepumpen-Nutzung, Nutzung zum Urban Gardening, Ersatzlebensraum für lokale Pflanzen und Tiere (Biodiversitätserhalt), Regenwasserrückhalt, Erholungszwecke als intensive Gründächer, Lichtkuppeln bzw. Lichtführung vom Dach.
Für die quantitative Bewertung der Nutzung der Dachflächen wurde eine Methodik gesucht, wie CO₂-Emissionen bzw. Co2-Senken der unterschiedlichen Dachnutzungen mit hinreichender Genauigkeit abgeschätzt werden können. Dies bezieht sich auf die Nutzung pro Jahr. Das vermehrte Ausstoßen von Kohlenstoffdioxid (CO₂) und anderen Treibhausgasen durch anthropogene Aktivitäten führt zu einer Erwärmung der Atmosphäre. Um eine Abschätzung zu geben, welche Art der Dachflächennutzung die geringsten CO₂-Emissionen verursacht bzw. sogar zu einer CO₂-Senke führt, wurden verschiedene Nutzungen analysiert.
Es zeigt auf, dass verschiedene Arten von Nutzungen, wie unter anderem Grün- und Solardächer nicht in Flächenkonkurrenz zueinanderstehen, sondern vielmehr eine Art Symbiose darstellen, deren Kombination den größten Mehrwert für Bewohner*innen und Natur und den Mehrertrag an Stromgewinnung hat.

Digitalisierung in der Begrünung

Die fortschreitende Digitalisierung spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle im Bereich der Bauwerksbegrünung. Digitale Technologien werden kontinuierlich erforscht und weiterentwickelt, um Planung, Simulation, Erhebung, Kartierung, Pflege und Monitoring zu verbessern und zugänglicher zu machen – von der Anwendung von Fernerkundungsdaten der European Space Agency (ESA) zur Kartierung von Bestands- oder Potentialflächen oder intelligenten Berechnungstools zur Bewertung der Wirkungen und zukünftigen Vorhersagen für Klimaszenarien.

Schutz vor Extremwetterereignissen

Zudem wächst die Nachfrage nach ökologischen und unbedenklichen Materialien, biozidfreie Dachabdichtungen werden für Förderungen favorisiert und regionalen Ressourcen und bautechnischen Optimierungen im Bereich der Materialanwendung und Systemherstellung. Auch weil Dachbegrünungen gegen die ansteigenden Extremwetterereignisse gut Stand halten und auch im österreichischen Hagelregister Platz finden. Der Verband für Bauwerksbegrünung, der seit 1991 alle vereint, die sich mit Begrünungen auf Gebäuden beschäftigen, hat speziell zu Hagelbeständigkeit ein Merkblatt herausgegeben.
Industriebetriebe und Gewerbetreibende, die Gründächer, Fassadenbegrünungen und versickerungsfähige Oberflächen oder dazugehörige Bauteile entwickeln, planen, herstellen und montieren, finden sich in diesem Verband wieder. Zudem gehören dazu Stadtverwaltungen, Innungen, Fachverbände, Prüfinstitute, Studenten, Architekten und sonstige Interessierte. Der Verband für Bauwerksbegrünung ist Eigentümer vom Innovationslabor und Kompetenzzentrum Grünstattgrau, erarbeitet Qualitätssicherungsvorgaben, Prüfzeichen und Informationsmaterial.

 Insbesondere in städtischen Gebieten, in denen die Belastung durch Luftverschmutzung und städtische Hitzeinseln zunimmt, werden verstärkt Vorschriften erlassen, die die Implementierung von grünen Infrastrukturen fördern.

Susanne Formanek

Regulatorische Rahmenbedingungen

Die Integration von Bauwerksbegrünung in die Gebäude konzentriert sich darauf, Synergien zwischen Gebäudetechnik, Wassermanagement und energetischer Optimierung zu schaffen, nicht nur für das einzelne Gebäude, sondern auch für die umgebende Infrastruktur. Regulatorische Rahmenbedingungen beeinflussen maßgeblich die Entwicklung der Bauwerksbegrünungsbranche. Gesetze und Vorschriften, die die Energieeffizienz von Gebäuden fördern und Umweltschutzmaßnahmen vorschreiben, können die Nachfrage nach Bauwerksbegrünungslösungen steigern. Insbesondere in städtischen Gebieten, in denen die Belastung durch Luftverschmutzung und städtische Hitzeinseln zunimmt, werden verstärkt Vorschriften erlassen, die die Implementierung von grünen Infrastrukturen fördern. So auch die Leitlinien für die Anpassungsstrategien und -pläne der Mitgliedstaaten, herausgegeben von der Europäischen Kommission, die die transformativen Veränderungen durch "Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen" vorantreiben. Damit wird eine klimaresiliente Entwicklung der Städte gefördert.
Planerische Lenkungsinstrumente wie Flächenwidmungspläne und Bebauungspläne geben Vorgaben zur Errichtung von Dach- und Fassadenbegrünungen bei Neubauten. Städte, Länder und der Bund fördern vermehrt die Verbreitung mit finanziellen Anreizen für Private und Unternehmen und erleichtern so die Entwicklung.

Bauwerksbegrünungskonzepte werden immer mehr Bestandteil von Renovierungs- und Sanierungsmaßnahmen, besonders im urbanen Raum.
Bauwerksbegrünungskonzepte werden immer mehr Bestandteil von Renovierungs- und Sanierungsmaßnahmen, besonders im urbanen Raum.

Nachhaltige Gebäudesanierung

Darüber hinaus haben Sanierungsprojekte einen erheblichen Einfluss auf die Nachfrage nach Bauwerksbegrünungen. Bei der Modernisierung von Gebäuden werden vermehrt nachhaltige Lösungen gesucht, um den Energieverbrauch zu optimieren und die Lebensqualität der Bewohner*innen zu verbessern. Dies führt zu einem verstärkten Interesse an Bauwerksbegrünungskonzepten als integraler Bestandteil von Renovierungs- und Sanierungsmaßnahmen.
Als Beispiel sei die Kühlung der obersten Geschoßebene um bis zu vier Grad durch eine Dachbegrünung genannt. Bei der Systementwicklung schlägt sich das in der Suche nach Konzepten für die serielle Vorfertigung von Elementen wie Fassadenbegrünungs- oder Fertiggründachmodulen nieder, um Ressourcen zu minimieren, den Transportaufwand zu verringern und die Bautätigkeiten zu beschleunigen.

Mehr Grün in der Stadt

Insgesamt spiegelt die steigende Nachfrage nach Bauwerksbegrünungen nicht nur das Streben nach ökologischer Nachhaltigkeit und Energieeffizienz wider, sondern auch die zunehmende Integration von Grünflächen in die städtische Umgebung als Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels und der Urbanisierung. Laut dem neuen Green Market Report ist das derzeitige durchschnittliche Marktwachstum mit über 16 Prozent gegeben.
(bt)