Welterbe Wien: Heumarkt-Deklaration
Am 18. März haben die Österreichische Gesellschaft für Architektur gemeinsam mit der Architekturstiftung Österreich, DOCOMOMO Austria, Europa Nostra Austria, IG Autorinnen Autoren, Initiative öst. Kunst- und Kulturschaffender gegen das Hochhausprojekt am Wiener Heumarkt, Initiative Denkmalschutz, Initiative Stadtbildschutz, Inst. für Ökologischen Städtebau, Öst. Gesellschaft für Denkmal- und Ortsbildpflege, Öst. Gesellschaft für historische Gärten, Öst. Gesellschaft für Landschaftsarchitektur sowie ORTE Architekturnetzwerk NÖ eine Deklaration zum Heumarkt-Projekt an das UNESCO-Welterbezentrum in Paris geschickt. [siehe: https://oegfa.at/lib/bin/200318_heumarkt-deklaration_final_de.pdf]
Die 13 NGOs sowie 36 Exponenten der Fachwelt appellieren neuerlich an die Öffentlichkeit und fordern den sofortigen Stopp des Projekts und eine deutliche Reduktion des Bauvolumens. Der von der Stadt Wien vorgeschlagene "Kompromiss" ist kein Kompromiss! Er ist ein kaum verschleierter Versuch, die Unesco, die Bundesregierung und die Öffentlichkeit in die Irre zu führen.
Rückfragen & Kontakt:
Christian Kühn: christian.kuehn@tuwien.ac.at
Gerhard Ruiss: gerhard.ruiss@chello.at
Andreas Vass: a.vass@oegfa.at, 0664 205 15 42
Vom Turm zum Hochhausriegel
Deklaration zum Projekt am Wiener Heumarkt
Auch nach acht Jahren Auseinandersetzung um das Hochhausprojekt am Wiener Heumarkt ist die Wiener Stadtregierung noch immer nicht bereit, die Vorgaben [1] zu akzeptieren, die seitens der UNESCO 2013 für diese besonders sensible Lage in der Kernzone der Weltkulturerbestätte „Historisches Zentrum von Wien“ festgelegt wurden. Anstatt den Investor zu ihrer Einhaltung zu verpflichten, versucht sie, die UNESCO, die Bundesregierung und die Öffentlichkeit mit einem Kompromissangebot, das keines ist, zu in die Irre zu führen.
Was ist geschehen?
Im März 2019 verkündet die Stadtregierung zum wiederholten Mal eine „Nachdenkphase“. Zuvor hatten Gutachten und ein Heritage Impact Assessment (HIA)-Report im Auftrag der Bundesregierung sowie ein ICOMOS Advisory Mission Report neuerlich die Unvereinbarkeit des Projekts mit dem Welterbestatus festgestellt. Mit den Verhandlungen über eine Baubewilligung wolle man bis zur Entscheidung über die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung warten.
Bereits im Dezember 2019 endet diese für zwei Jahre angesetzte „Nachdenkphase“ zwiespältig: einerseits mit der Bekanntgabe einer abgeschlossenen Bauverhandlung über das unveränderte Projekt und andererseits mit einem angeblichen „Kompromissangebot“. Ein Baubewilligungsbescheid wurde vorerst nicht ausgestellt, er wird allerdings für den Fall „angedroht“, dass die Unesco der angebotenen „Alternative“ nicht zustimmt. Die Pointe: Welche Baumassen dieser „alternative Lösungsansatz“ konkret vorsieht, soll erst danach offengelegt werden.
Zur Richtung dieser „Alternativlösung“ kann aus der bisherigen Projektgeschichte und aus den mit irreführenden Zahlen operierenden Meldungen des Welterbebeauftragten der Stadt Wien geschlossen werden, dass sie, nach der Baumassenerhöhung um ca. 25 Prozent auf 223.860 m³ in der ersten „Nachdenkphase“ 2016, eine weitere, massive Vergrößerung des Gesamtvolumens und insbesondere der Bauhöhen des Hochhausriegels bringen wird.
Ansonsten sind die spärlichen Angaben widersprüchlich: Im Bericht der Stadt an die UNESCO heißt es lediglich, dass der Turm „mit einer Höhe von 66,3 m“ nicht gebaut werden soll, und eine „Erhöhung des Hotel-Hochhauses nicht ausgeschlossen wird“.
Aber ist damit, wie gegenüber den Medien kommuniziert, der gänzliche Wegfall des Turms gemeint?
Und wie ist es zu verstehen, dass der Welterbebeauftragte der Stadt Wien von einer Bestandshöhe des Hotels von 48 m spricht, während dieser Hotelbestand – von der Unesco als Maximalhöhe des Projekts festgelegt1 – in Wirklichkeit nur 38 m misst?
Wenn weiters gegenüber der Öffentlichkeit suggeriert wird, die Unesco solle sich mit dem Investor, was die Bauhöhe betrifft, „in der Mitte“ treffen, steht zu befürchten, dass die Vom Turm zum Hochhausriegel.Doc Hotelscheibe von derzeit 38 m zu einem massiven Hochhausriegel von bis zu 55 m anwachsen soll. Also auf 1 ½ mal die Höhe des Bestands! Und auf einen solchen Kuhhandel soll sich die Unesco einlassen?
Schon im, entgegen gesetzlichen Rahmenbedingungen, jetzt für „baureif“ erklärten Projekt ist der Neubau des Hotels um fast 10 m höher, als die UNESCO es fordert, statt die Bestandshöhe von 38 m einzuhalten, erlangt der Neubau 48 m Traufenhöhe. Bereits diese Baumasse hat gravierende negative Auswirkungen auf den umliegenden Stadtraum:
• Sie überragt die Ringstraßenbebauung um mehr als das Doppelte.
• Sie bildet als massiver Block mit 100 m Länge im unmittelbaren Umfeld eine erdrückende Dominanz.
• Aus mittleren Entfernungen (Karlsplatz / Schwarzenbergplatz bis Ring / Stadtpark) stellt sie einen unverhältnismäßigen Maßstabssprung dar.
• Aus der wichtigen Blickachse des Belvederegartens wie auch im Rundblick vom Stephansturm bildet sie eine massive Beeinträchtigung der Stadtsilhouette, die zentraler Inhalt der Erklärung des Wiener Stadtzentrums zur Welterbestätte ist.
Grundsätzlich wäre ein Erhalt des Hotelbestands aus 1964, im Wettbewerb 2014 noch wichtigster Grund für die Prämierung des Siegerprojekts von Isay Weinfeld, allein aus Gründen der grauen Energie und zumindest, solange eine ernsthafte Prüfung der Denkmalwürdigkeit nicht stattgefunden hat, dem seit 2016 vorgesehenen Abbruch vorzuziehen.
Eine weitere Erhöhung des gegenüber dem Bestand bereits um 10 m erhöhten Hochhausbaukörpers kann dagegen nicht ernstzunehmend zur Diskussion stehen, schon gar nicht als „Kompromiss“. Im Vergleich zum bisher forcierten Turm wäre sie keine geringere Beeinträchtigung der sensiblen Balance der Bauhöhen im Ringstraßenbereich und Stadtzentrum von Wien.
Statt über eine Erhöhung der Hotelscheibe zu verhandeln, muss weiterhin ihre Reduktion auf die Bestandshöhe des Hotel Intercontinental (38 m über dem Straßenniveau beim Konzerthaus-Haupteingang / 51 m über der Wiener Null) gefordert werden.
Der von der Stadt Wien vorgeschlagene „Kompromiss“ ist also kein Kompromiss, sondern in Wirklichkeit ein kaum verschleierter Versuch, die UNESCO, die Bundesregierung und die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen, umso mehr, als seine konkrete Ausformung bis jetzt im Unklaren bleibt.
Daher treten wir als NGOs und österreichische Kultur- und Architektur-Institutionen sowie als ExponentInnen der Fachwelt, die seit Jahren einen Stopp dieses Projekts fordern, mit folgenden Forderungen neuerlich an die Öffentlichkeit:
1) Die Vorgaben der Unesco können nicht wegverhandelt werden, sie sind der unveränderte Maßstab.
2) Das „Welterbe Historisches Zentrum von Wien“ kann nicht von der Roten Liste der gefährdeten Weltkulturerbeprojekte genommen werden, solange die Auswirkungen des Heumarkt-Projekts auf die wesentlichen Sichtbeziehungen nicht geklärt ist und es keine Entscheidung zur Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung über das Vorhaben am Heumarkt gibt.
3) Die Widersprüche zwischen dem an die Unesco im Februar 2020 gesandten Prüfbericht und öffentlichen Erklärungen des Welterbebeauftragten der Stadt Wien über die bestehenden und anvisierten Bauhöhen müssen umgehend aufgeklärt und die Volumetrie des „alternativen Lösungsansatzes“ offengelegt werden: Fällt der Turm gänzlich weg, oder soll er nur in der bisherigen Höhe nicht gebaut werden?
Hält das Hotelhochhaus die Höhenvorgaben der Unesco (Bestandshöhe = 38 m) ein?
4) Ein 100 m breiter und, wie vom Wiener Welterbebeauftragten angedeutet, mehr als 48 m hoher Hochhausriegel kann nicht als Verbesserung gegenüber dem Turm verkauft werden.
Er wäre eine sogar noch massivere Beeinträchtigung der sensiblen Bauhöhenbalance im Ringstraßenbereich und im Stadtzentrum von Wien. Eine Vergrößerung der Baumassen darf nicht bewilligt werden.
Im Gegenteil: an einer Reduktion der Baumassen und an einem Neustart des Projekts führt kein Weg vorbei.
Wir fordern daher weiters die Stadt Wien zu einem ehrlichen und offenen Umgang mit dem von ihr selbst geschaffenen Problem auf, mit klaren Vorgaben gegenüber dem Projektbetreiber in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Unesco, um einen Neustart des Projekts unter adäquaten Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Wir fordern die Bundesregierung auf, zu diesen neuesten Entwicklungen nicht länger zu schweigen, sondern, wie im Regierungsprogramm angekündigt, als Vertragspartner der Unesco für eine Einhaltung ihrer internationalen Verpflichtungen zu sorgen. Wenn sie ernsthaft an der Erhaltung der Welterbestätte „Historisches Zentrum von Wien interessiert ist, müsste sie unverzüglich geeignete und ihr laut den inzwischen zur Verfügung stehenden Gutachten verfassungsrechtlich zu Gebot stehende Maßnahmen zur Durchsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtung der Republik Österreich gegenüber der Stadt Wien treffen, um eine rechtswidrige Bauführung hintanzuhalten.
Es darf innerhalb der dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verschriebenen EU nicht geduldet werden, dass sich die Stadt Wien über internationale – noch dazu mit einer Organisation der Vereinten Nationen geschlossene – Staatsverträge beharrlich hinwegsetzt und damit die Republik Österreich samt deren Vertragspartner vor aller Welt desavouiert.
Wien, am 18. März 2020
[1] 1 Siehe: Reactive Monitoring Mission Report 2012, insbesondere Punkt 4.1.2; WHC-13/37.COM/20 (2013), Decision 71. World Heritage Properties of Vienna, insbesondere Punkt 4.; sowie sämtliche nachfolgenden Entscheidungen des World Heritage Committee (WHC).
Diese Deklaration wird von folgenden Institutionen und Personen getragen:
Christian Kühn
Architekturstiftung Österreich
DOCOMOMO Austria
Andreas Lehne
Europa Nostra
Gerhard Ruiss
IG Autorinnen Autoren
Initiative österreichischer Kunst- und Kulturschaffender gegen das Hochhausprojekt am Wiener Heumarkt
Markus Landerer
Initiative Denkmalschutz
Herbert Rasinger
Initiative Stadtbildschutz
Gerhard Kreitner
Institut für ökologische Stadtentwicklung
Andreas Vass
Österreichische Gesellschaft für Architektur
Friedmund Hueber
Österreichische Gesellschaft für Denkmal- und Ortsbildpflege
Eva Berger
Österreichische Gesellschaft für historische Gärten
Stephanie Drlik
Österreichische Gesellschaft für Landschaftsarchitektur
Heidrun Schlögl
ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
Inge Andritz Architektin, Senior Scientist, Dipl.-Ing. Dr.techn. TU Wien
Maria Auböck Architektin und Landschaftsarchitektin, em. Univ.-Prof., Akademie der bildenden Künste München
Eva Berger Ao. Univ.-Prof., TU Wien, FB Landschaftsplanung und Gartenkunst
Renate Banik-Schweitzer Stadthistorikerin und Publizistin
Nott Caviezel O.Univ.-Prof. für Denkmalpflege und Bauen im Bestand, TU Wien
Hermann Czech Architekt
Rainald Franz Kunsthistoriker, Kustode Sammlung Glas und Keramik, MAK
Jakob Fuchs Architekt, Fasch & Fuchs, Architekten
Michael Hofstätter Architekt, PAUHOF Architekten
Sebastian Hackenschmidt Kunsthistoriker, Kustode der Sammlung Möbel und Holzarbeiten, MAK - Museum für angewandte Kunst und Gegenwartskunst
Axel Hubmann Architekturhistoriker, ehem. Präsident Docomomo Austria
Friedmund Hueber Architekt, em. Univ.-Prof., Kath. Universität Leuven/Belgien, Denkmalpfleger, Baugeschichtsforscher, Gutachter
Otto Kapfinger Architekturhistoriker und Publizist
Paul Kolm Univ-Doz. Dr., TU Wien,Abteilung für Multidsciplinary Design and User Research
Georg Kotyza Hon.Prof. DI, ehem. stellv. Leiter der MA18 - Stadtentwicklung und Stadtplanung
Erich Lehner Ao. Univ.-Prof. i.R., TU Wien
Bernhard Leitner em. O.Univ.-Professor, New York University, Universität für angewandte Kunst
Lilli Licka o. Univ.-Prof. BOKU Wien
Bruno Maldoner Architekt und Bildhauer, Dr.tech. Mag.art. Hon.Prof. Universität für Angewandte Kunst, ehem. Leiter der Abt. f. UNESCO- Welterbe im Bundeskanzleramt
Norbert Mayr Architekturhistoriker und Publizist
Manfred Nehrer Architekt
Gottfried Pirhofer Publizist und Stadtforscher
Jürgen Radatz Architekt
Johanna Rainer Architektin
Gisa Ruland Landschaftsarchitektin, Univ. Ass., TU Wien, Institut für Landschaftsplanung und Gartenkunst
Friedrich Schindegger Raumplaner
Reinhard Seiß Raumplaner, Publizist
Bernhard Sommer Vizepräsident der Kammer der ZiviltechnikerInnen | ArchitektInnen und IngenieurInnen Wien, Niederösterreich und Burgenland
Malgorzata Sommer-Nawara Architektin, Vorstandsmitglied der IG-Architektur
Franziska Ullmann em. Univ.-Prof., Universität Stuttgart, Fachgebiet Raum und Gestalt
Fritz Waclawek Architekt
Wilfried Wang Architekt, Univ.-Prof., O'Neil Ford Centennial Chair in Architecture, University of Texas, Vorstandsvorsitzender der Erich- Schelling Architekturstiftung
Gunther Wawrik Architekt, em. Prof. für Städtebau und Entwerfen, FH München
Werner Winterstein Architekt, Weltkulturerbebeauftragter der Inneren Stadt 2006 – 2015
Angelika Zeininger Architektin, Schulleiterin des Camillo Sitte Bautechnikums
Johannes Zeininger Architekt, Vorstandsmitglied der IG-Architektur