Abschreckung

Wie abschreckend muss ein Verbot sein, dass es wirkt?

Rechtstipps
07.03.2023

Die Verletzung einer Gesetzesbestimmung sollte eine Sanktion nach sich ziehen, sonst ist die Bestimmung unvollständig (und praktisch nicht sehr wertvoll).

Im Vertragsrecht sind wir es bislang (in Österreich) gewohnt, dass für nichtige (z. B. ­sittenwidrige oder missbräuchliche) Vertragsbestimmungen im Wesentlichen nur eine Sanktion besteht, und das auch nur, wenn der benachteiligte Vertragsteil dagegen mit Klage vorgeht: Der Nachteil des Verlierers beschränkt sich dann darauf, dass er die Prozess­kosten ersetzen muss und statt der nichtigen Vertragsbestimmung im schlimmsten Fall die gesetz­liche Regelung (also das "dispositive Recht" des ABGB) zur Anwendung kommt.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nun – für das EU-Verbraucherrecht – in der Entscheidung vom 8.12.2022, C-625/21, seine durchaus radikale Vorjudikatur von 2021 bekräftigt: Wenn eine ­Vertragsklausel missbräuchlich ist, darf sie nur dann durch das dispositive Recht ersetzt werden, wenn der Vertrag ansonsten zur Gänze wegfiele und dieser Wegfall für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte.

Die Auswirkungen im Anlassfall

Im Anlassfall bedeutete das Folgendes: Laut Vertrag hatte der Unternehmer bei unberechtigtem Vertragsrücktritt durch den Verbraucher das Wahlrecht zwischen einer pauschalen Forderung von 20 Prozent des Kaufpreises (Stornoentgelt) oder Schadenersatz nach dispositivem Recht.

Ein pauschales Stornoentgelt in der Höhe von 20 Prozent ist nach österreichischer Judikatur (jedenfalls im Verbraucherrecht) missbräuchlich und daher nichtig, der Unternehmer kann sie nicht gerichtlich durchsetzen. Nach der EuGH-Entscheidung bekommt er aber überhaupt keinen Schadenersatz (auch dann nicht, wenn der Verbraucher ihm durch den unberechtigten Vertragsrücktritt schuldhaft einen ­Schaden verursacht hat, also nach dem ABGB schadenersatzpflichtig wäre).

Der Oberste Gerichtshof (OGH) hatte diese Frage dem EuGH zur Auslegung vorgelegt, da er bezweifelte, ob diese radikale Lösung hier richtig wäre. Schließlich, so meinte der OGH, widerspräche das "diametral der Systematik und den Wertungen des Zivilrechts, das davon geprägt ist, die unterschiedlichen Interessen von Vertragsparteien billig auszugleichen" (mit anderen Worten: Es wäre seltsam, wenn der Verbraucher vertragswidrig und schuldhaft einen Schaden verursacht hat, aber ohne jede Schaden­ersatzpflicht davon käme).

Weiters führte der OGH an, dass sich der Unternehmer in der Klage gar nicht auf das missbräuchliche Stornoentgelt stützte, sondern ausschließlich Schadenersatz nach ABGB verlangte.

Nach Urteil irrelevant

Nach der EuGH-Entscheidung ist das aber alles irrelevant. Die Vertragsbestimmung ist "unteilbar" und daher insgesamt (also inklusive der Wahlmöglichkeit des Unternehmers auf Schadenersatz nach ABGB) nichtig; und das EU-Verbraucherrecht hat gerade das Ziel, "der Verwendung missbräuchlicher Klauseln ein Ende zu setzen, indem der Abschreckungseffekt aufrechterhalten wird, der darin besteht, dass diese Klauseln schlicht unangewendet bleiben".

Freilich ist die Sichtweise des EuGH nachvollziehbar: Ein Unternehmer (jedenfalls ein großer) hat weniger Sorge vor einem langwierigen Prozess als ein Verbraucher, und auch wenn er ihn führen muss und verliert, fiele er ansonsten bei geschickter Vertragsgestaltung im schlimmsten Fall auf Ansprüche nach ABGB zurück. Das ist keine besonders tolle Abschreckungs­wirkung gegen missbräuchliche Vertragsinhalte.

Der Praxistipp

Außerhalb des Verbraucherrechts (also wenn Unternehmer unter sich sind) gibt es grundsätzlich keine solchen zivilrechtlichen "Abschreckungs­sanktionen". Aber bei der Erstellung von Verträgen mit Verbrauchern (sei es in Einzelfällen, oder – wo die Nichtigkeit noch häufiger "zuschlagen" kann – bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen) sollte man als Unternehmer umsichtig vorgehen. Vertrags­inhalte, die das dispositive Recht nicht im Auge haben und bloß darauf ausgerichtet sind, alle denk­baren Vorteile zu verankern, können sich als ­Bumerang ­erweisen.

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