Eine Annäherung

Woher kommt Vergaberecht?

Vergaberecht
07.02.2023

Auf die Frage, woher Vergaberecht kommt, antworten die meisten Leute, die damit beruflich zu tun haben, "aus der Hölle" oder "von der EU". Leute, die nichts damit zu tun haben, antworten: "Was ist das: Vergaberecht?"

Um zur Allgemeinbildung beizutragen, folgt nun die – bisher wenig bekannte – wahre Geschichte, wie Vergaberecht entstanden ist. Im achten Jahrhundert nach Christus gab es einen Fürstenhof in Europa, der reich gesegnet war. Der Handel florierte, die Steuereinnahmen waren gut, das Fürstenhaus vermögend. Nun geschah es aber zunehmend, dass die vom Fürsten eingesetzten Einkäufer erstens wenig Interesse daran hatten, das Geld des Fürstenhauses sparsam einzusetzen, und zweitens versuchten, etwas für sich selbst abzuzweigen, um sich ihr Leben und das ihrer Familien zu ver­süßen.

Als der Fürst dies bemerkte, stellten ihm seine Berater zwei Möglichkeiten zur Auswahl: entweder wird weniger eingekauft, damit sein Vermögen nicht zur Gänze dahinschmilzt, oder die Steuern werden spürbar erhöht. Der Fürst aber, der deutlich intelligenter war, als es seine Berater gerne gehabt hätten, kam auf eine dritte Idee: Jeder Einkäufer muss für jeden Einkauf aufschreiben, wozu er das überhaupt einkauft und warum es nicht billiger geht. Um die Motivation ein bisschen zu erhöhen, sollte weiters eine "Beschaffungsinquisition" eingerichtet werden, die einen Einkäufer für jede nicht ordnungsgemäße Aufzeichnung zu zehn öffentlichen Stockhieben verurteilen sollte, ab dem sechsten Verstoß zur Verbannung oder zum Verlust einer beliebigen Gliedmaße (nach Wahl des Einkäufers).

Dem Fürsten gelang die Umsetzung des Plans aber nicht. Seine Berater (und die Einkäufer, die gar nicht davon begeistert waren) fanden immer neue Einwände, die sie dem Fürsten und seinen Nachfahren in den nächsten Jahrhunderten entgegenhielten, so zum Beispiel: Die Bürokratie des Plans würde mehr kosten als bringen; es fänden sich zu wenige Einkäufer, die schreiben und lesen könnten; man solle doch viel mehr in budgetvermehrende Grundlagenforschung investieren, damit endlich der "Stein der Weisen" gefunden werde.

Diesen Leuten, die sich beim Einkaufen nicht beschränken lassen wollten, gelang es außerdem zunehmend, das Problem den Anbietern zuzuschieben. Die sollten doch billiger und schneller liefern, und wenn nicht, sollte man "nachhelfen".

Dazu wurde beispielsweise das Gottesurteil des "Kesselfangs" abgewandelt: Der Anbieter musste mit seinen Händen aus einem Kessel mit glühend heißen Geldstücken so viel herausnehmen, wie er ­fassen konnte. Wenn er unverletzt blieb, musste er keinen Nachlass geben; sonst musste er einen Nachlass über die herausgenommene Summe geben (was übrigens dazu führte, dass es nur noch Anbieter mit sehr kleinen Händen gab und die Kinderarbeit auch in diesem Bereich florierte). Man dachte sogar darüber nach, überhöhte Preise nach dem Vorbild des Hexenhammers als "Schadenzauber" zu qualifizieren, um durch entsprechende Verhöre und die sogenannte "peinliche Befragung" Druck auszuüben.

Die Ansätze blieben aber zersplittert und unausgegoren. Erst im 20. Jahrhundert wurden diese Ideen zusammengefasst und geordnet, wobei man sich inzwischen etwas zivilisierterer Mittel bediente: Die Gottesurteile wurden (aufgrund der fraglichen Zuständigkeit, welches höhere Wesen dadurch entscheiden sollte, denn es gab ja inzwischen die Religionsfreiheit) überhaupt abgeschafft; die Beschaffungsinquisition wurde durch Vergabekontrollbehörden und Rechnungshöfe ersetzt; die Folter wurde von der vertieften Angebotsprüfung abgelöst; die Grundlagenforschung wurde vom Vergaberecht ausgenommen (auch wenn der wahre Grund dafür offiziell verschwiegen wird, hofft man immer noch, den "Stein der Weisen" zu finden).

Und damit war das moderne Vergaberecht geboren, ein Muster an Effizienz und zivilisierten Umgangsformen. Und nun geht schlafen, liebe ­Kinder, und träumt süß vom nächsten Vergabeverfahren.

Branchen
Bau