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Die Grenzen des objektiven Erklärungswerts

Vergaberecht
04.04.2022

Die formale Strenge des Vergaberechts ist weithin bekannt. Warum man im Umgang mit Worten vorsichtig agieren sollte.

Bei Angeboten ist grundsätzlich irrelevant, ob ein Bieter absichtlich oder bloß versehentlich eine von der Ausschreibung oder den gesetzlichen Vorgaben abweichende Erklärung abgibt. Beispielsweise kann es passieren, dass aus Versehen ein falscher (zu niedriger) Kollektivvertrag verwendet wird oder sonst unabsichtlich Fehler bei der Kalkulation passieren. Das führt aber trotzdem (fast immer, es gibt sehr wenige "gnädige" Judikaturbeispiele) zum Ausscheiden des Angebots, weil Irrtümer beim Preis nachträglich nicht berichtigt werden dürfen.

In manchen Fällen gibt es nach der Judikatur einen "Rettungsanker" für Irrtümer, nämlich deshalb, da das Angebot grundsätzlich in seiner Gesamtheit nach seinem objektiven Erklärungswert auszulegen ist. Das bedeutet, dass primär nicht relevant ist, was sich der Bieter bei seiner Erklärung gedacht hat oder was er damit bezwecken wollte, sondern, wie seine Erklärung auf einen durchschnittlichen und sachkundigen Empfänger wirkt.

Auf dieser Basis wurde in der Judikatur fallweise der Angebotsinhalt "umgedeutet", zum Beispiel:

  • Ob es sich um ein Alternativangebot oder ein Abänderungsangebot handelt, kommt nicht darauf an, wie es der Bieter nennt, sondern wie es inhaltlich ausgestaltet ist. Das kann das Angebot in manchen Fällen retten, denn: Ein Abänderungsangebot ist eine "geringfügige" Alternative und zulässig, wenn es in der Ausschreibung nicht ausgeschlossen wurde (ein Alternativangebot ist nur zulässig, wenn es ausdrücklich zugelassen wurde).
  • Eine offenbar irrtümliche Verwendung des eigenen Briefpapiers, in dessen vorgedruckter Fußzeile auf die Geltung der eigenen AGB verwiesen wird, führt nicht zum Ausscheiden wegen eines ausschreibungswidrigen Angebots.

Nur begrenzt hilfreich

Im Rechtsschutzverfahren vor den Verwaltungs­gerichten ist der objektive Erklärungswert aber nur begrenzt hilfreich, wie eine aktuelle Entscheidung des VwGH (2.7.2021, Ra 2018/04/0008) zeigt: Ein Auftraggeber hat dem Bieter mit der Zuschlagsentscheidung gleichzeitig mitgeteilt, dass sein Angebot ausgeschieden wird. Da es sich um zwei unterschiedliche, gesondert anfechtbare Entscheidungen handelt, musste der Bieter beide bei Gericht anfechten. Die Anfechtungsfrist betrug jeweils zehn Tage.

Der Bieter brachte einen Nachprüfungsantrag beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein. Darin wurde nur ein ausdrücklicher Antrag auf Nichtig­erklärung der Zuschlagsentscheidung gestellt, aber kein solcher Antrag hinsichtlich der Ausscheidens­entscheidung. In der Begründung zur Rechtswidrigkeit hat der Bieter allerdings auch ausgeführt, warum nach seiner Ansicht auch die Ausscheidens­entscheidung zu Unrecht erfolgt sei. Das BVwG hat den Antrag zurückgewiesen, weil die Ausscheidens­entscheidung nicht innerhalb der Anfechtungsfrist bekämpft wurde. Daher gelte der Bieter nun als rechtskräftig ausgeschieden und hätte kein Recht mehr zu Bekämpfung der Zuschlagsentscheidung. Der Bieter hat diese Entscheidung des BVwG beim VwGH mittels Revision bekämpft.

Der VwGH hat zwar festgehalten, dass auch im Rechtsschutzverfahren der objektive Erklärungswert maßgeblich wäre. Es komme nur auf die "Erklärung des Willens" des Antragstellers an (also das, was nach außen hin als Erklärung erkennbar ist), nicht aber auf einen abweichenden tatsächlichen Willen des Antragstellers. Der VwGH hat weiters angemerkt, dass im Zweifel eine Erklärung des Antragstellers nicht so auszulegen ist, dass ihm die Rechtsverteidigungsmöglichkeit genommen wird.

Dennoch hat der VwGH im Ergebnis – warum, ist nicht leicht nachvollziehbar – die Entscheidung des BVwG bestätigt.

Der Praxistipp

Im Vergaberecht – sowohl während des Vergabeverfahrens als auch im Rechtsschutzverfahren – werden Erklärungen grundsätzlich streng ausgelegt. Daher sollte man im Umgang mit Worten vorsichtig agieren, eine nachträgliche Umdeutung oder Berichtigung ist nur sehr eingeschränkt möglich.

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