Vergaberecht

Die Zulässigkeit von Value Engineering

Vergaberecht
14.11.2022

Value Engineering ist zwar ein häufig verwendeter Begriff, wirft aber immer noch Fragen auf.

Insbesondere wird manchmal grundsätzlich angezweifelt, dass Value Engineering vergaberechtlich überhaupt zulässig wäre.

Ein zweites Gegenargument ist häufig, dass der Auftraggeber ja selbst wissen müsse, was er wolle, daher brauche es Ideen von ausführender Seite gar nicht. Zwar ist nicht nachvollziehbar, warum jemand, der zwar regelmäßig etwas einkauft, es aber noch nie selbst hergestellt hat, nicht vom Wissen dessen profitieren könnte, der sich mit nichts außer dieser Herstellung beschäftigt, aber das soll (zumindest heute) kein Thema sein.

Die vergaberechtlichen Zweifel beruhen auf § 365 Bundesvergabegesetz 2018 (BVergG 2018) über die Zulässigkeit nachträglicher Vertragsänderungen ohne Neuausschreibungspflicht. Zwar ist diese Bestimmung wegen bisher kaum vorhandener Judikatur in vielen Punkten unklar, aber es gibt gute Argumente für den Einsatz von Value Engineering.

Die österreichische und die europäische Welt

Wesentlich für das Verständnis von § 365 BVergG 2018 (der zwar teilweise eigene Worte verwendet, aber den EU-Vergaberichtlinien entnommen ist und auch sein muss) ist, die österreichische Bauwelt mit ihren Gewohnheiten nicht darauf zu übertragen, denn daraus können Missverständnisse entstehen.

Manche Zweifler sehen einen Unterschied zwischen Value Engineering und sonstigen Bauvertragsänderungen – die sehr häufig passieren, denn kaum ein Bauvertrag wird ohne jegliche Änderung des ­Leistungsumfangs abgewickelt – schon alleine darin, dass Leistungsabweichungen (also Leistungsänderungen oder Störungen der Leistungserbringung) schon seit Jahrzehnten in der ÖNorm B 2110 verankert sind, während Value Engineering relativ neu ist. Manche wiederum sehen ein Problem darin, dass die Initiative beim Value Engineering – im Unterschied zu Leistungsabweichungen – vom Auftragnehmer kommt. Beides allerdings ist dem Vergaberecht herzlich egal.

Die Systematik der ÖNorm B 2110 ist für das Vergaberecht irrelevant, ebenso wie die Häufigkeit der Anwendung einer Vertragsbestimmung. Es kommt für manche der Ausnahmetatbestände des § 365 BVergG 2018 zwar (auch) darauf an, was im Vertrag steht, aber dass bei uns Leistungsabweichungen – im Unterschied zu Value Engineering – als etwas "naturgegeben Notwendiges" angesehen werden, spielt keine Rolle. Wichtig ist, wie präzise der Vertrag beschreibt, wann es zu welchen Änderungen kommen kann.

Da sieht es bei vielen Störungen der Leistungserbringung aufgrund des "Automatismus" einer unvermeidbaren Vertragsänderung noch besser aus; aber Leistungsänderungen, deren Umfang im Wesentlichen nur vom „Leistungsziel“ (das in der ÖNorm B 2110 bloß mit einer Art Zirkelschluss auf die Vertragsinhalte beschrieben ist) begrenzt sind, kommen vergaberechtlich nicht wirklich besser weg als Value Engineering.

Und von wem die Initiative einer Änderung ­ausgeht, ist für keinen der sechs Ausnahmetatbestände des § 365 BVergG 2018 auch nur entfernt relevant.

Wer daher aus vergaberechtlichen Gründen Angst vor Value Engineering hat, dem müsste auch jede Leistungsänderung den Schlaf rauben.

Und abgesehen davon?

Value Engineering kann unabhängig vom Vertragsinhalt zulässig sein, denn es gibt Ausnahmetat­bestände im § 365 BVergG 2018, für die das irrelevant ist.

Ergänzend ist es freilich sinnvoll, Value Engineering nicht nur im Vertrag zu erwähnen, sondern auch das Prozedere und die Reichweite möglichst gut zu beschreiben, um auch den vergaberechtlichen Spielraum zu maximieren (aber das gilt auch für Leistungsabweichungen, insbesondere Leistungsänderungen). Die RVS 10.02.13 „Value Engineering für Infrastrukturbauten“ gibt dafür eine etwas bessere Basis ab als das Value Engineering nach Anhang A zur ÖNorm B 2118.

Und letztlich: Ob Value Engineering im Einzelfall zulässig ist, sollte natürlich vor der Umsetzung geprüft werden (das gilt aber auch für Leistungsabweichungen).

Branchen
Bau