Vergaberecht

Schadenersatz und Herausgabe von Ausschreibungsunterlagen

Vergaberecht
18.07.2022

Aktualisiert am 25.07.2022
Haben Unternehmer Anspruch auf Schadenersatz, wenn Auftraggeber vergaberechtliche ­Vorschriften verletzen? Ein neues OGH-Urteil gibt darüber Aufschluss.

Ein Unternehmer kann Schadenersatzansprüche wegen Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften durch den Auftraggeber geltend machen, aber nur innerhalb bestimmter Grenzen. Grundsätzlich gibt es zwei Kategorien möglicher Schadenersatzansprüche: 

  • Anspruch auf Vertrauensschaden: Der Anspruch auf den sogenannten Vertrauensschaden richtet sich auf den Ersatz der Kosten, die durch die Beteiligung am Vergabeverfahren entstanden sind. Dieser Anspruch kann logischerweise (neben anderen Voraussetzungen) nur dann entstehen, wenn der Unternehmer am Vergabeverfahren beteiligt war, ihm also solche Kosten entstanden sind. 
  • Anspruch auf Erfüllungsschaden: Der Anspruch auf den sogenannten Erfüllungsschaden gilt bei einem solchen Schaden, der dadurch entstanden ist, dass der Unternehmer nicht den Auftrag erhalten hat. Dazu muss der Unternehmer grundsätzlich den Nachweis erbringen, dass er bei rechtmäßiger Vorgangsweise des Auftraggebers den Auftrag erhalten hätte.

Der Oberste Gerichtshof (OGH) hatte nun einen Fall zu beurteilen, in dem ein Unternehmer eine andere Kategorie von Schadenersatz verlangte, nämlich für das "Informationsdefizit", das ihm durch die Nichtteilnahme am Vergabeverfahren – also wegen "verunmöglichter Einblicke in den Markt" – entstanden wäre. Im Zuge dieses Zivilprozesses verlangte der Unternehmer auch die Herausgabe der Ausschreibungsunterlagen für das – bereits beendete – Vergabeverfahren. Der OGH erteilte diesen Begehren aber in der Entscheidung vom 23. 2. 2022, 3 Ob 19/22y, eine Absage.

Die OGH-Begründung

Ein derartiger Schadenersatzanspruch besteht nicht, und zwar weder aufgrund der vergaberechtlichen Sondervorschriften für Schadenersatz noch aufgrund der allgemeinen Bestimmungen des ABGB. Ein reines Informationsinteresse ist ebenso wie sonstige Nachteile durch den Verlust der Chance an der Teilnahme an einem Vergabeverfahren nicht geschützt. Es handelt sich um kein "selbstständiges Rechtsgut mit einem Verkehrswert"; mit anderen Worten: ­Solche Nachteile können schadenersatzrechtlich nicht in einem bestimmten Geldwert ausgedrückt werden, der ersatzfähig wäre.
Auch zeitlich betrachtet bestehen derartige Ansprüche nach dem OGH nicht. Im rechtsgeschäftlichen Verkehr können Ansprüche zwar auch vor einem Vertragsabschluss entstehen (vorvertragliche Schadenersatzansprüche oder "culpa in contrahendo" genannt), aber es muss zumindest ein entsprechender rechtsgeschäftlicher Kontakt entstanden sein. Im gegenständlichen Fall war aber ein solcher Kontakt gar nicht entstanden, weil sich der Unternehmer in keiner Weise am Vergabeverfahren beteiligt hatte.

Auch ein Recht des Unternehmers auf Herausgabe der Ausschreibungsunterlagen zum bereits beendeten Vergabeverfahren wurde vom OGH abgelehnt. Nach den vergaberechtlichen Vorschriften muss die Verfügbarkeit von (elektronischen) Ausschreibungsunterlagen zumindest bis zum Ablauf der Teilnahmeantrags- bzw. Angebotsfrist gewährleistet sein, aber nicht darüber hinaus. Es ist zwar nicht verboten, dass der Auftraggeber die Unterlagen auch danach noch zur Verfügung stellt, aber er ist nicht dazu verpflichtet. Dies ergibt sich auch aus dem gesetzlichen Zweck der Verfügbarkeit von Ausschreibungsunter­lagen (also der Möglichkeit, einen Teilnahmeantrag zu stellen oder ein Angebot zu legen).

Der Unternehmer argumentierte auch mit dem englischen Wortlaut der EU-Vergaberichtlinie 2014/ 24/EU, nach der einem Unternehmer "un­re­stricted […] access" (in der deutschen Fassung: "uneingeschränkter […] Zugang") zu den Ausschreibungsunterlagen zur Verfügung stehen muss. Der OGH entschied aber, dass "unrestricted" nicht im Sinne eines zeitlich unbeschränkten Zugangs zu verstehen ist, sondern nur, dass die Abrufbarkeit von Ausschreibungsunterlagen durch keine (technischen) Zugangsmodalitäten beschränkt werden darf. 

Auch das Argument, dass sich aus dem EU-recht­lichen Effektivitätsgrundsatz – die vergaberechtlichen Vorschriften müssen Unternehmern einen effektiven Rechtsschutz ermöglichen – solche Ansprüche ergeben würden, verwarf der OGH.

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