Schenkungen und Vergaberecht
Es kommt immer wieder vor, dass Bieter für Teilleistungen kein Entgelt verlangen, also bestimmte Positionen zu null Euro anbieten. Seltener ist der Fall, dass ein Bieter die gesamte ausgeschriebene Leistung für null Euro anbietet. Mit einem solchen Fall hatte sich nun der Europäische Gerichtshof (EuGH 10.9.2020, C-367/19) zu beschäftigen.
Nullpreise im Angebot
Sogar für den Ausgangsfall – der angebotene Gesamtpreis lautet auf null Euro – hat der EuGH jene Grundsätze betont, die auch nach dem österreichischen Bundesvergabegesetz 2018 (BVergG) gelten, falls einzelne Positionen mit null ausgepreist werden:
- Der Auftraggeber darf das Angebot nicht einfach ausscheiden.
- Da null Euro (typischerweise) einen ungewöhnlich niedrigen Preis darstellen, muss der Auftraggeber vom Bieter verlangen, den Preis zu erläutern. Im BVergG wird das als „vertiefte Angebotsprüfung“ bezeichnet.
- Der Bieter hat die entsprechende Aufklärung zu liefern (bei Bauaufträgen üblicherweise anhand von Kalkulationsformblättern gemäß ÖNorm B 2061, insbesondere K3- und K7-Blättern).
- Der Auftraggeber hat zu prüfen, ob die Aufklärung – wie es der EuGH ausdrückt – den Preis „zufriedenstellend erklären“ kann, also, ob sich der Preis „nicht auf die ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags auswirken wird“.
Diese vom EuGH erwähnten Auswirkungen „auf die ordnungsgemäße Ausführung des Auftrags“ beziehen sich nach dem BVergG insbesondere auf folgende Umstände:
- Sind im Preis alle Leistungen kalkuliert, die nach der Ausschreibung unter dieser Position zu erbringen sind? Wenn nein (wenn also z. B. Leistungsteile gar nicht beinhaltet sind oder nicht wie in der Ausschreibung beschrieben beinhaltet sind oder in anderen Positionen kalkuliert wurden), dann verstößt das Angebot gegen die Ausschreibungsbestimmungen und ist auszuscheiden.
- Wurden in der Kalkulation alle gesetzlichen Bestimmungen und Kollektivverträge eingehalten? Wenn nein (also z. B. gesetzliche oder kollektivvertragliche Mindestlohnbestimmungen unterschritten wurden), ist das Angebot auszuscheiden.
- Ist der Preis betriebswirtschaftlich nachvollziehbar? Wenn nein (also z. B. Leistungsansätze unplausibel niedrig kalkuliert wurden), ist das Angebot auszuscheiden.
In der Praxis kann ein Nullpreis in einer Position durchaus nach allen vorstehenden Bedingungen korrekt und rechtmäßig sein; etwa dann, wenn in einer Position das Wegschaffen von Material enthalten ist und der Bieter für dieses Material einen entsprechend erzielbaren Verkaufspreis plausibel erklären kann (und diesen Verkaufspreis nach der Ausschreibung auch behalten darf).
Entgeltlichkeit
Da sich der Nullpreis im Ausgangsfall vor dem EuGH nicht auf einzelne Positionen beschränkte, sondern das gesamte Angebot betraf, stellte sich noch eine übergeordnete Frage.
Sowohl die EU-Vergaberichtlinien als auch das BVergG gelten ausdrücklich nur für „entgeltliche“ Verträge, also Verträge, nach denen sich beide Vertragspartner zu gewissen Leistungen (Leistung und Gegenleistung) verpflichten. Ist aber ein Vertrag noch entgeltlich, wenn der Auftraggeber die Leistung „geschenkt“ erhält?
Geklärt ist bereits nach älterer EuGH-Judikatur, dass die Gegenleistung des Auftraggebers nicht in Geld liegen muss, sondern auch in einer anderen wirtschaftlich relevanten Leistung liegen kann (z. B. in Förderungen, Widmungsänderungen oder sonstiger Einräumung von Rechten).
Ob das im Anlassfall vorlag, hat der EuGH nicht im Detail geklärt. Er hat nur festgehalten, dass die bloße Möglichkeit des Bieters, durch den Auftrag (vielleicht) einen Zugang zu einem neuen Markt oder eine künftige Referenz zu erwerben, alleine noch nicht ausreicht. Es wäre aber z. B. auch denkbar, dass schon in der Auslastung der unternehmerischen Ressourcen für die ausgeschriebenen Leistungen ein entsprechender wirtschaftlicher Wert liegt. Ob das zur „Entgeltlichkeit“ ausreichen kann, kann mangels ausreichender Judikatur derzeit nicht allgemein gesagt werden.