Wirtschaftsanalyse

"Wir hungern bei vollen Schüsseln"

Gewerbe und Handwerk
07.07.2022

Von: Redaktion Handwerk + Bau
Die Auftragslage sei laut der Gewerbe und Handwerk-Obfrau „noch gut, aber geballte Krisen trüben Erwartungen“. Außerdem drohe bei einem völligen Gaslieferstopp eine weitgehende Lähmung der Wirtschaft.
WKO Gewerbe und Handwerk

Im Rahmen einer Pressekonferenz der WKÖ Sparte Gewerbe und Handwerk am 7. Juli anlässlich der von KMU Austria erhobenen aktuellen Wirtschaftszahlen wurden Fakten präsentiert, die keinen Grund zum Jubeln liefern. So ändere sich die Stimmungslage gegenüber der beiden vergangenen Quartale nun grundlegend. 

Leitbranche Bau schwächelt

Der Ausblick trübe sich bereits merklich ein. Für das dritte Quartal haben exakt gleich viele Unternehmen im Gewerbe und Handwerk positive wie negative Auftrags- oder Umsatzerwartungen, nämlich jeweils 21 Prozent. Die Kurve zeige nach unten. Und: Im Baugewerbe erwarten nur 14 Prozent der Betriebe Auftragssteigerungen, 31 Prozent rechnen für das dritte Quartal bereits mit Rückgängen. "Diese Erwartungen sind für das Baugewerbe ungewöhnlich schlecht. Vergleichbar negative Werte haben wir zuletzt im Coronajahr 2020 oder auch während der Finanzkrise 2009 gesehen", sagte Christina Enichlmair von KMU Forschung Austria. Ihr Fazit: "Die Konjunkturlokomotive Bau bremst sich ein. Es zeichnet sich ein Abschwung ab." Laut Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer Österreich bereite dies große Sorge, da "der Bau eine Leitbranche sei. Wenn diese schwächelt, treffe es in weiterer Folge auch die baunahen Bereiche und bald darauf große Teile im Handwerk und Gewerbe".

Arbeitskräftepotenzial ausschöpfen

Die Unternehmen seien derzeit mit einer Fülle von Problemen konfrontiert – das reiche von der Sommerwelle der Corona-Pandemie über die drohende Versorgungskrise und Kostenexplosion bei Energie bis hin zum Teuerungsschub und Lieferschwierigkeiten bei Rohstoffen und Vormaterialien. Dazu komme der anhaltende Arbeitskräftemangel: Laut WKO Arbeitskräfteradar fehlen 272.000 Personen am Arbeitsmarkt. 73 Prozent der Betriebe sehen sich davon betroffen. "Wir müssen das in Österreich verfügbare Arbeitskräftepotenzial besser ausschöpfen. Das reicht von Frauen, die derzeit nicht erwerbstätig sind oder in Teilzeit arbeiten, über ältere Arbeitskräfte bis hin zu jungen Erwachsenen, die wir verstärkt für eine Lehre begeistern wollen", so Scheichelbauer-Schuster.
Die Spartenobfrau fordert deshalb einen Ausbau insbesondere der frühkindlichen Kinderbetreuung, vermehrte AMS-Förderungen von betriebsnahen Umschulungen, die besonders aussichtsreich sind ("arbeitsnahe Qualifizierung"/Aqua), eine Lohnnebenkostensenkung für die Beschäftigung von älteren Personen oder von Arbeitslosen sowie praxisnahe Anpassungen im Zuge der Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte. So wäre ein Aufenthaltstitel für Lehrlinge dringend erforderlich.

Lösungen in Sachen Energiekrise nicht in Sicht

Große Sorgen bereitet den Unternehmen die Versorgungssicherheit und die Kostenexplosion im Energie-Bereich. "Es muss alles unternommen werden, um einen 'Energie-Blackout' für die Handwerks- und Gewerbebetriebe zu verhindern. Fällt die Gasversorgung z.B. bei einem Glasproduzenten aus, erkaltet die Rohmasse und die Glasöfen sind restlos zerstört. Die Konsequenz wäre ein wirtschaftlicher Totalschaden für das Unternehmen und ein Totalverlust aller Arbeitsplätze", warnte Reinhard Kainz, der Geschäftsführer der Sparte.

"Die Betriebe benötigen die Sicherheit, dass sie auch im Herbst und Winter auf eine funktionierende Energieversorgung zählen können. Und sie brauchen Entlastung. Die Erwartung der Klein- und Mittelbetriebe ist hoch, dass die gewaltigen Steigerungen der Energiekosten spürbar abgefedert werden", stellte Kainz fest. "Es ist zu befürchten, dass beim Zuschuss für energieintensive Betriebe das geplante Volumen von 450 Mio. Euro rasch ausgeschöpft sein wird und viele KMU daher auf der Strecke bleiben. Sollte sich dies abzeichnen, muss das Volumen jedenfalls nachgebessert werden", fordert Kainz. 

(ck)

Das bietet der "Energiekostenzuschuss"

Mit dem geplanten Energiekostenzuschuss und der Strompreiskompensation werden zielgerichtete Maßnahmen für energieintensive Betriebe gesetzt. Als Budget dafür wurde vorläufig ein Volumen von 450 Millionen Euro festgemacht. Im Konkreten sieht das Unternehmens-Energiekostenzuschussgesetz vor, dass Anteile von Mehraufwendungen für den Verbrauch von Treibstoffen, Strom und Gas mit bis zu 400.000 € pro Betrieb nach dem "first come - first serve"-Prinzip gefördert werden können. Damit würden gewisse Mehraufwendungen für die Energiepreise mit einem nicht rückzahlbaren Zuschuss gefördert. Bei gestiegenen Ausgaben für Strom und Erdgas sind abhängig von der Betroffenheit und Branche auch höhere Zuschüsse möglich. Die genauen Details sollen in einer Richtlinie festgelegt werden; entsprechende Anträge können bis Ende 2022 bei der Austria Wirtschaftsservice (AWS) eingebracht werden. Gelten soll die Regelung bis Ende 2023, wobei entsprechende Förderanträge an die Austria Wirtschaftsservice GmbH bis Jahresende 2022 gestellt werden müssen.